Caren. 18th Nov 2024
| | ReviewGanz in Weiß, mit einem Blumenstrauß
"Am Tag als Winnetou starb" bewegen wir uns in Richtung Berlin, um ein sommerliches Open Air Konzert in der historischen Festung der Zitadelle Spandau zu erleben. Sehr angenehmes Ambiente, viele alte Fanshirts (ich hab auch mein altes „Angel Dust“ Tour Shirt von 1992 rausgekramt) und kein böses Gedränge. Das heiße Wetter hält sich, nur der Support-Act bewirkt leichte Eiseskälte: ANTHONY PATERAS (seineszeichens australischer Avantgarde-Komponist, optisch ein junger Woody Allen) setzt sich an den Flügel und hämmert uns penetrante 25 Minuten (1 Song!) 2 schnellgespielte abwechselnde Töne mit 2 Fingern um die Ohren, die über die Tastatur verteilt werden. Das Publikum fällt von einem belustigten „WTF?“ schnell in ein Pfeifkonzert, es hagelt Mittelfinger und ironische „Zugabe“-Rufe. Dann ist es still und er tritt ab. Na danke. Auch wenn MIKE PATTON in Vergangenheit schon mal ein Projekt mit ihm zusammen hatte, ist dies wirklich kein Grund, den armen Kerl (und uns, dem undankbaren Pack) mit so einer Support-Aufgabe zu quälen. Überflüssig für ein Rock Open Air.
Dann beginnt das große Warten. Im Hintergrund läuft die komplette Best-Of Henry Mancini 1x durch, von „Breakfast at Tiffany’s“ bis „Pink Panther“ etc. Auf der Bühne sieht man nur weiß verhangene Instrumente & Verstärker und weiß gekleidete Leute, im Hintergrund ein riesiger weißer Vorhang ohne Logo. Dann werden zu den Klängen von „Loaded“ von Primal Scream sowie „Hallelujah“ von den Happy Mondays auf einmal große weiße Blumenkästen mit knallbunten Blumengestecken hereingetragen. Hippie-Rave-Zeiten lassen grüßen und viele zücken verwundert die Fotoapparate. Das Blumenmeer wird immer größer, viel Platz ist nicht mehr, es sieht mittlerweile aus wie auf Michael Jackson’s Beerdigung – und in der Mitte steht ein einzelnes goldenes Mikro. Kurz vor 21:00 tut sich dann endlich was, unzählige gutriechende Tüten sind schon rumgegangen. FAITH NO MORE kommen unter großem Applaus ebenfalls komplett in weiß auf die Bühne und beginnen grinsend mit „Motherfucker“. BÄM. Danach ein in der Tat recht aggressives „Be aggressive“. Ein paar Deutschversuche seitens Mr. Patton dürfen natürlich auch nicht fehlen, ob „Schpandaaaauuuu!“, „Schweinepriester“ oder „eins zwei drei vier“-Anzählern, das hat er schon immer gern gemacht. Aber die Frage „Do you like this Hippie-Shit?“ steht ebenfalls noch zur Debatte. Sie kramen in der Hitkiste, lassen das Publikum auch mal komplett alleine weitersingen („Midlife Crisis“), um gleich danach einfach den Style innerhalb des Songs zu variieren und sie streuen ein dutzend Lieder der neuen Platte ‚Sol Invictus’ ein. Patton greift auch mal zum Schellenkranz, zum Megaphon oder zum Old-School Mikro. Einmal versucht die Band ein richtiges „Ommmmmm“ anzustimmen, bei dem das Publikum mitmachen soll („this is an E – please hold it for a while“), während er a capella Didgeridoo-Geräusche macht. Seine Stimme ist in den Songs heute allgemein etwas rauher, er schreit mehr als dass er liebliche Melodien zum besten gibt, aber das wollen die meisten auch so. Natürlich gibt es bei „I’m easy“ das volle Stimmvolumen nebst Spiegelkugel-Einsatz & alles in lila, als das Tageslicht sich rötlich dem Ende neigt. An Charisma hat er wirklich nichts verschenkt, der Mann wirkt immer edler mit dem Alter und haut trotzdem in die Vollen. Dass er ab & zu auf Easy Listening steht, beweist dann auch ein Burt Bacharach Cover Song und in der eigenen Bandgeschichte gehen sie selbstredend bis zu „We care a lot“ zurück, aber nicht ohne darin einen kleinen Gimmick der neueren Hitparade einzubauen, da die Zeile „it’s all about that bass, bout that bass“ von Meghan Trainor prima in den Rhythmus passt. Spaß haben definitiv alle, die historische Location am Burggraben wird von der Band gelobt, nur der Sound lastet mir persönlich ein wenig zu penetrant auf den höheren Mitten. Die Boxen sind sehr durchdringend (an allen Positionen), aber insgesamt nicht dramatisch. Gelohnt hat es sich auf alle Fälle – es hätte nur ein wenig länger dauern können, trotz Zugaben kommen sie auf knappe anderthalb Stunden. Bei einem Abschluss-Getränk auf dem Vorplatz treffen wir meinen Lieblings-DJ aus der Clubkeller-Heavy-Lounge, auch extra aus FFM angereist. Der „Ashes to ashes“-Refrain frisst sich die ganze Nacht über in meinen Hirnwindungen fest, trotzdem wir noch bis 3:00 Uhr bei Freunden in Berlin eine häusliche Singstar-Session bei Krimsekt abhalten ☺
Setlist:
Motherfucker / Be aggressive / Caffeine / Evidence / Epic / Black Friday / Spirit / Midlife crisis / Everything’s ruined / The gentle art of making enemies / I’m easy / Last cup of sorrow / Separation anxiety / Matador / Ashes to ashes / Superhero / Sol invictus / This guy’s in love with you / We care a lot / From the dead
Ach so, ja, das Champions League Finale findet zeitgleich in Berlin statt, singende Trikots sieht man überall. Barcelona gewinnt gegen Juventus Turin. Na dann: Prost.
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